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Nicht dabei und doch mittendrin – Mein Schulalltag mit dem Avatar

Ich bin Jonathan, 16 Jahre alt, und im Herbst 2023 wurde bei mir ein Lymphom diagnostiziert. Schon kurz nach der Diagnose war mir klar: Ich möchte trotz meiner Krankheit weiter am Unterricht teilnehmen – aber nicht mit Hausunterricht, bei dem ein Lehrer zu mir nach Hause kommt. Stattdessen habe ich mich für einen Avatar entschieden.

Der Förderverein hat mir einen Avatar zur Verfügung gestellt. Über ihn konnte ich digital und interaktiv am Unterricht teilnehmen – und vor allem den Kontakt zu meiner Klasse halten.

Zuhause hat das richtig gut funktioniert. Im Krankenhaus war es manchmal etwas schwieriger. Ich lag in einem Zweibettzimmer und wollte meine Mitpatienten nicht stören. Deshalb bin ich oft ins Wohnzimmer der Station gegangen – vorausgesetzt, das WLAN hat mitgespielt.

Ich fand es gut, dass ich meine Lehrer und Mitschüler sehen konnte, sie mich aber nicht. Über die Emoji-Augen des Avatars konnte ich zeigen, wie es mir gerade ging. Meistens habe ich einfach zugehört und zugesehen. Nur selten habe ich mich über den Avatar gemeldet, da es sich komisch angefühlt hat, dass die anderen einen nicht sehen können, wenn man etwas sagt. Ich habe mich in allen Haupt- und Nebenfächern zugeschaltet. Nur in Chemie war es schwierig – bei Experimenten konnte ich eben nur zuschauen.

Meine Klasse hat den Avatar auch mit in die Pausen genommen. Da konnte ich auch mal ohne die Lehrer mit ihnen sprechen.

Technisch lief das meiste gut. Die Bildqualität war in Ordnung, solange das Internet stabil war. Auch der Ton war klar – außer natürlich, wenn alle durcheinandergeredet haben.

Ich bin echt froh, dass meine Klasse den Avatar so gut angenommen hat. Anfangs haben sich ein paar Mitschüler darum gekümmert, dass er geladen, eingeschaltet und im richtigen Raum war. Später haben sich dann alle verantwortlich gefühlt. Wenn ich mal einen Termin in der Klinik hatte und nicht dabei sein konnte, habe ich einfach in unsere WhatsApp-Gruppe geschrieben.

Meine Mutter war auch sehr erleichtert. Sie musste mich nie daran erinnern, mich mit dem Avatar zu verbinden oder meine Hausaufgaben zu machen. Ich habe das alles selbst organisiert – auch weil ich in der Abschlussklasse bin und mir die Schule wichtig ist. Besonders schön fand sie, dass ich den Kontakt zu meinen Freunden halten konnte – gerade in den Pausen.

Das sagt Jonathans Klassenlehrerin:

Ich habe sowohl von meinen Kollegen und Kolleginnen als auch von meiner Klasse durchweg positive Rückmeldungen zum Avatar erhalten. Alle waren begeistert, dass Jonathan über den Avatar (den wir übrigens „Bodo“ getauft haben, da dies Jonathans Zweitname ist und irgendwie zu dem kleinen Roboter passte) weiterhin ein Teil von uns sein konnte.

Er konnte das Unterrichtsgeschehen darüber verfolgen und hat auch in Arbeitsphasen mit Mitschülern zusammengearbeitet. Gemeldet hat Jonathan sich eher seltener – ich glaube aber, dass es schon ein hohes Maß an Konzentration braucht, um alles mitzubekommen. Er hat sich dann zu Hause intensiv mit den Inhalten beschäftigt und uns seine Ergebnisse immer über die Lernplattform „Moodle“ hochgeladen.

Dass er mit diesem Verfahren erfolgreich war, zeigt sich darin, dass er wenige Tage nach seiner Rückkehr in die Schule sofort die beste Mathearbeit geschrieben hat. Wir sind alle sehr stolz darauf, wie er die letzten Monate gemeistert hat.

Zeitpunkt der Erscheinung: Juni 2024 

Der Roboter im Klassenraum…

Josephine war 13 Jahre, als sie an Krebs erkrankte. Die Neuntklässlerin gehörte zu den ersten Schülerinnen, die während ihrer Therapie einen Avatar vom Förderverein genutzt hat. Er stand in dieser Zeit auf ihrem Tisch im Klassenraum.

In einem Podcast, der im Rahmen von Zukunftsschulen NRW schulübergreifend von Schülern für Schülern produziert wird, stellt sich Josephine den Fragen von Klassenkamerad Elija. Sie erzählt von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Avatar und befragt dazu auch Dirk Zurmühlen, der das Schulprojekt „Avatar“ innerhalb des Elternhaus-Teams betreut.

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Weitere Informationen


Was ist ein Avatar?

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Avatare sind digitale Unterrichtshelfer, die es schwer kranken Schülern und Schulerinnen ermöglichen, vom Krankenbett aus am Unterricht und Schulalltag teilzunehmen. Unser Förderverein gehört zu ersten in Deutschland, die sich für dem Einsatz von Avataren in der Schule stark machten. Inzwischen haben wir 15 Telepräsenz-Robotor, die wir an die Schulen krebskranker Kinder verleihen.

Basteln gegen die Bilder im Kopf

Unsere Tochter Alessa verlor im Oktober 2012 nach 2 1/2 Jahren den Kampf gegen den Krebs (Ewing Sarkom).

Angeregt durch das traditionelle Adventsbasteln im Elternhaus und der Tatsache, dass ich immer schon gerne Adventsgestecke gemacht habe, entschloss ich mich im November 2012 mit dem Basteln anzufangen.

Ich musste mein Gedankenkarussell stoppen und merkte, dass mir das kreative Arbeiten mit den Händen guttat. Alles musste raus. Jede Idee, jede Inspiration, die ich sah, musste umgesetzt werden. So entstanden die ersten Adventsgestecke, ohne dass ich einen Plan hatte, was ich damit machen sollte. Die Familie war versorgt und die Deko stand. Aber ich bastelte immer weiter. Es tat einfach so gut, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen als mit den immer wiederkehrenden Bildern in meinem Kopf, die mir das unendliche Leid meiner Tochter im Nachhinein vor Augen führte!

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Während Alessas letzten Wochen habe ich nur funktioniert. Damals ließ ich keine anderen Gedanken an mich herankommen. Ich weiß, es ging allen Eltern auf der Station so: Immer wenn wir uns auf dem Flur trafen, hatten wir nur kurz Zeit uns über den aktuellen Stand auszutauschen, bevor wir wieder in die Krankenzimmer zurückkehrten. Es war eine sehr bedrückende Zeit. Man war dankbar für jede Abwechslung, die uns, u.a. durch den Förderverein, auf der Station geboten wurde. Da wir in dieser Zeit sehr viel Unterstützung erfahren hatten, wollte ich etwas zurückgeben. So entstand die Idee für unseren Adventsbasar zugunsten des Fördervereins.

In den ersten Jahren habe ich mich nicht getraut, offen um Spenden zu bitten. Aber mit der Zeit wurde ich immer aufgeschlossener und dann auf einmal kamen die Spenden. Ich bin dankbar für jede finanzielle Unterstützung, die ich über die Jahre an den Förderverein weiterleiten konnte.

An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank für die Begleitung während der schwersten Zeit unseres Lebens. Liebes Elternhaus-Team, liebe Schwestern, Pfleger und Ärzte: Ihr macht einen hervorragenden Job!

Stefanie Wüsthoff


Der Weihachtsbasar der Familie Wüsthoff

Einmal im Jahr laden Stefanie und Manfred Wüsthoff in Leverkusen zu einem Weihnachtsbasar mit Glühweinstand ein.

Die Stände werden in der Garage aufgebaut. Es gibt Adventsgestecke in allen Farben und Formen und jedes hat Stefanie Wüsthoff von Hand gemacht. Daneben werden auch beleuchtete Bilder, Karten und Gestricktes angeboten, die von ihrer Schwester und guten Freundinnen gefertigt werden.

Seit Beginn geht der Erlös an den Förderverein, über 8.200 Euro sind bis heute, im Jahr 2023, bereits zusammengekommen.

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Wann: Das Wochenende vor dem 1. Advent (meist samstags ab 17 Uhr).

Wo: Burscheider Straße 357a, 51381 Leverkusen

Die Familie Wüsthoff lädt dazu alle, die Interesse haben, herzlich ein!

Fabian: Meine Geschichte

Ende Januar 2007 bekam ich starke Kopfschmerzen, die sich nach mehreren Untersuchungen als ein Hirntumor herausstellten. Diesen gemischten Keimzelltumor bekämpfte ich mit Chemotherapie und Bestrahlung.

Leider wurde 2008 durch ein Kontroll-MRT Zysten entdeckt, weshalb eine komplizierte OP am Stammhirn notwendig war.
Jene teure OP, die meine Familie und ich zur Hälfte selbst bezahlen mussten, ließ ich in Hannover machen. Die Chance, die OP zu überleben, lag bei 50 %. Glücklicherweise operierte mich ein talentierter Arzt, durch den ich die Operation gut überstanden habe.

Der Rückfall

Fünf Jahre hatte ich dann Ruhe. Im Frühjahr 2013 plagten mich dann starke Rückenschmerzen. Es wurde ein Rezidiv im Steißbeinbereich diagnostiziert, das sich im späteren Verlauf als sehr hartnäckig und aggressiv herausstellte. Ich wollte weiterhin zur Schule gehen (das Rezidiv wurde anfänglich als harmlos vermutet), um mein Abitur zu machen. Somit kämpfte ich mit ambulanter (Tabletten-) Chemo (RIST uvm.) und Bestrahlung (auch Cyber-Knife) und ging weiterhin in die Oberstufe eines Gymnasiums. Irgendwann musste ich aber, aufgrund Aggressivität des Rezidivs und der zunehmenden Stärke der Therapien, meine schulische Laufbahn pausieren, da ich zeitweise nur noch 37,9 kg wog.

Auch war der Tumor im Jahr 2016 so gewachsen, dass ich kaum noch gehen konnte und größtenteils im Rollstuhl unterwegs war. Desweitern teilte uns Prof. Thorsten Simon, Leiter der Kinderkrebsstation in Köln, mit, dass es keine weiteren Therapien für mich gäbe. Ich war mit meinem Tumor ein Sonderfall in Deutschland und Europa.

Dem Tod von der Schippe gesprungen

Also fuhren wir mit polnischen Bekannten zu einem Heiler nach Polen. Der prophezeite mir, dass ich wie jeder Mensch sterben werde, aber nicht an dieser Krankheit. Ergänzend wurde mir gesagt, ich solle weiterhin alles machen, was die Schulmedizin empfiehlt, und ich bekam weitere Heilungsmethoden auf den Weg.

Wieder in Köln erklärte uns Prof. Simon, dass er sich durch meine ganzen alten Akten gewühlt habe und eine weitere Chemotherapie gefunden habe. Somit startete ich dann mit Hochdosis, Isolation und Stammzellrückgabe. Nach der härtesten Chemotherapie meines Lebens, bei der ich zum wiederholten Male dem Tod von der Schippe gesprungen bin, konnte ich nichts mehr. Weder gehen, noch die Füße bewegen oder die Zehen krümmen.

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Fabian beim hand2hold-Fotoshooting in München 2015 (www.hand2hold.de)

Alle Hürden bezwungen

Ich musste alles wieder neu erlernen. Erst mit der Physiotherapie und Fußstützen im Zimmer einzelne Schritte, dann ohne Stützen. Später erste Meter auf dem Flur, anfangs mit Hilfe des Medikamentenbaums. Danach ohne und mit tollem Anfeuern der Schwestern und der Pfleger. Als nächstes wurden Treppen, zwar langsam, aber mit Erfolg bezwungen. Sogar die steile Treppe bei uns Zuhause, die ich vorher hochgetragen werden musste.

Nach weiteren Operationen zur endgültigen Entfernung des Tumors und der Metastasen, die sich in der Lunge gebildet haben, konnte ich meine schulische Laufbahn im Frühling 2017 fortsetzten.

Heute habe ich sowohl den Tumor besiegt als auch mein Abitur bestanden, meinen Führerschein in der Tasche, mein eigenes Auto und einen Studienplatz in Düsseldorf.

Zur Person: Mit 9 Jahren erhielt Fabian seine lebensbedrohliche Diagnose. 10 Jahre lang haben er und seine Familie gegen den Krebs gekämpft und schließlich auch bezwungen. Heute ist Fabian 24 Jahre alt. Er studiert Fashion Business und hat sich für die Zukunft noch viel vorgenommen.

Ich gehe meinen eigenen Weg

Im Dezember 2017 entdeckt der 14-jährige Mihajlo ein Hubbel unter seinem linken Knie. Als das Schienbein anfängt zu schmerzen, geht er erst zum Hausarzt, dann zum Orthopäden. Viele Untersuchungen später erhält die Familie im Sommer 2018 die Diagnose in der Uniklinik Köln: Knochenkrebs.

Es folgen mehrere Operationen und Chemotherapie auf der Kinderkrebsstation. Ende 2019 hat Mihajlo den Krebs besiegt, sitzt jedoch zunächst im Rollstuhl, da sein Bein schlecht abheilt und er viele Schmerzen hat. Nach einer Zweitmeinung durch die Orthopädie der Uniklinik Essen wird das Bein des 16jährigen amputiert. Der inzwischen 17-jährige erhält vom Oberschenkel ab eine Beinprothese und lernt wieder zu laufen.

Nach zwei Jahren Unterbrechung kann Mihajlo, der bei seiner Mutter in Köln lebt, zurück in seine Realschul-Klasse. Heute besucht er dort die 10. Klasse. Nach seinem Abschluss möchte er aufs Gymnasium wechseln, um sein Abitur zu machen. Momentan könnte er sich vorstellen, später in der medizinischen Forschung zu arbeiten.

2020 dreht der Dokumentarfilmer Phillip Lutz einen 20-minütigen Film mit ihm: Einen – Moment mit Mihajlo

Im Interview mit dem Förderverein erzählt Mihajlo von seinen Erfahrungen:

Mihajlo, wenn man dir im Film zuhört, merkt man schnell: Du bist nicht wie andere Teenager. Du sprichst sogar von Dankbarkeit im Zusammenhang mit deiner Krebserkrankung!

Ja, ich bin dankbar für mein Leben. Und ich bin dankbar für die Unterstützung, die auch dazu geführt hat, dass ich gesund werden konnte. Mit meiner Diagnose hat sich mein Leben so sehr verändert; auch zum Positiven. Dafür bin ich auch dankbar.

Das war nicht immer so. Als die Therapie zu Ende ging und ich im Rollstuhl saß, wurde mir langsam klar, dass ich vieles, was zum Beispiel meine Schulfreunde machen, für mich nie mehr möglich sein wird. Irgendwann habe ich mir selbst klar gemacht: Ich muss nicht alles tun, was andere Jugendliche tun. Ich gehe meinen eigenen Weg und mache meine eigenen Erfahrungen.

Wie kam es zu diesem Umdenken?

Die Amputation meines Beines war ein Riesenschritt für mich. Endlich wusste ich, dass es für mich nach der Krebserkrankung weitergeht. Davor hatte ich 2 Jahre im Rollstuhl gesessen mit einem Bein, das überhaupt nicht gesund war. Ich fühlte mich planlos und hatte keine Lust mehr auf irgendwas. Durch die Amputation und Beinprothese hatte ich plötzlich ein neues Ziel: Laufen lernen. Ich habe daraus eine neue Motivation gewonnen, ich wollte unbedingt wieder selbstständig werden!

Selbstständigkeit und die Ablösung von den Eltern ist ja für Jugendliche wichtig. Im Krankenhaus stellen wir uns das aber sehr schwierig vor, da besteht wenig Möglichkeit zur Abgrenzung. Wie war das bei dir?

Das war ein ständiges Thema bei uns. In der Regel kam meine Mutter morgens und blieb bis abends. Ich hatte aber oft keine Lust auf Eltern und war dann ganz schön genervt. Manchmal kam sie deswegen nur kurz mittags. Insgesamt hat es mich sehr gestresst, dass ich viele Sachen nicht alleine machen konnte: Ich brauchte Hilfe, aber ich wollte keine Hilfe haben! Deswegen habe ich mit meiner Mutter gestritten.

Manchmal dachte ich, ich wäre der Einzige, der das Problem mit seinen Eltern hat. Dann habe ich aber gesehen, dass es den meisten Jugendlichen auf Station so geht. Es ist wahrscheinlich ganz gut, dass man das hier [in der Fledermaus] mal erwähnt.

Wie ist heute das Verhältnis zu deiner Mutter?

Ich wohne ja bei meiner Mutter. Seit ich wieder laufen kann, hat sich die Sache schon verbessert.  Wir kommen mittlerweile gut klar. Wenn ich aber zum Beispiel zum Nachsorge-Termin muss, reagieren wir unterschiedlich. Ich habe gar keine Angst – meine Mutter ist dagegen sehr, sehr ängstlich. Das stresst mich natürlich. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht.

Nach der Therapie ging es für dich zurück in deine alte Klasse. Musstest du nicht nach 2 Jahren Fehlzeit die Klassenstufe wiederholen?

Ich habe das Glück, dass meine Schule mich sehr unterstützt, damals wie heute. Ich war außerdem selber schon immer motiviert für die Schule zu lernen und gute Noten zu schreiben.

Ich hatte, während ich in der Klinik war, Unterricht in der Schule für Kranke. Zuhause hatte ich dann 6 Stunden in der Woche sogenannten Hausunterricht: In der Zeit hat meine Lehrerin mit mir die Hauptfächer durchgenommen. Meine Lehrerin hat mich aber darüber hinaus auch jede Woche – auf ehrenamtlicher Basis – im Krankenhaus besucht. Und sie hat mit mir nicht nur den Schulstoff gelernt. Sie hat mir auch erzählt, was in der Schule so los ist.

Meine Lehrerin hat sich auch darum gekümmert, dass ich einen Nachteilsausgleich bekomme. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass mein Klassenraum jetzt im Erdgeschoss liegt, weil ich schlecht Treppen laufen kann.

Mit dieser Unterstützung habe ich es trotz Chemotherapie geschafft, versetzt zu werden.
Im letzten Halbjahr hatte ich sogar eines der besten Zeugnisse des Jahrgangs.

Klingt so, als ob du nicht mit Nebenwirkungen aus der Therapie kämpfen müsstest…

Doch, das ist ein Riesenproblem, deswegen bin ich froh, dass ich den Nachteilsausgleich habe. Vor allem am Anfang hat mein Kurzzeitgedächtnis sehr gelitten. Es kam vor, dass ich im Klassenzimmer saß und mich nicht daran erinnern konnte, was ich den Tag davor gelernt hatte. Ich musste das dann nochmal lernen.

Bis heute habe ich Konzentrationsschwierigkeiten. Da kommt mir der momentane Online-Unterricht sehr entgegen. Ich kann mich schlecht konzentrieren, wenn viele Mitschüler um mich herum sind. Ich habe manchmal Schwierigkeiten, Geräusche um mich herum auszublenden.

Apropos Mitschüler, wie sind diese mit deiner Situation umgegangen?

Verrückterweise haben viele Mitschüler gedacht, dass ich einen Vorteil durch meine Erkrankung habe, aufgrund des Nachteilsausgleich oder weil die Lehrer mit mir Mitleid haben. Da gab es am Anfang schon viele Missverständnisse. Der Übergang in den normalen Schulalltag war am Anfang anstrengend.

Zu Beginn ist der Ablauf eines ganzen Schultags für viele, die aus der Therapie kommen, der schwierigste Teil. Man selbst macht sich manchmal zu viele Gedanken was andere Mitschüler über einen denken.
Am Anfang scheint einem alles komisch. Egal ob Mitschüler oder Lehrer, man hat das Gefühl, dass jeder auf der Schule dich kennt. Leider gibt es auch einige Schüler, die negativ über andere Schüler reden –  gerade wenn dieser Schüler etwas anders aussieht als alle Anderen. Doch ich finde, wenn man so einen harten Kampf hinter sich gelassen hat, hat man keine andere Wahl, als dies zu ignorieren und immer sein eigenes Ziel vor Augen zu haben!

Hat sich mit der Erkrankung dein Freundeskreis verändert?

Als ich im Krankenhaus war, waren gerade viele Jugendliche auf Station. Wir waren eine Art Clique und haben im Krankenhaus viel zusammen gemacht. Der Kontakt ist immer noch da, auch wenn wir alle inzwischen mit der Therapie fertig sind. Über vieles, was ich erlebe, kann ich nur mit ihnen sprechen. Weil sie die gleichen Erfahrungen haben.

Aber wir reden nicht nur über Krebs. Man hat sich zwar im Krankenhaus kennengelernt, aber daraus sind dann echte Freundschaften entstanden. In der Schule hatte ich auch viele Freunde, mit denen ich aber nur dort zu tun hatte. Das habe ich gemerkt, als ich nicht mehr zur Schule gehen konnte. Meine Freundschaften mit anderen Krebspatienten gehen manchmal tiefer.

Das Interview führten Barbara Boßhammer und Marie Wolf

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Wie aus großem Leid tatkräftiges Mitgefühl wird

Die (Lebens-)Geschichte von Marlene Merhar…

… ist seit vielen Jahren eng mit dem Förderverein verbunden. Der erste Kontakt entstand 1989, als ihr Sohn Frederik an Krebs erkrankte und an der Uniklinik Köln behandelt wurde. Seit 2004 führt sie als Vorsitzende die Geschicke des Fördervereins.

Im Podcast „Menschen“ bei DOMRADIO geht die Journalistin Angela Krumpen im Gespräch der Frage nach, wie es dazu gekommen ist. Entstanden ist ein wunderbar einfühlsames Porträt, das hier zu hören ist:

Marlene Merhar – Wie aus großem Leid, großes Mitgefühl wird (02.06.2021) | DOMRADIO.DE – Katholische Nachrichten

Marlene Merhar | DOMRADIO Menschen | DOMRADIO.DE – Katholische Nachrichten

Ich wäre nicht der, der ich heute bin…

Es ist aus heutiger Sicht zum Glück sehr lange her und die expliziten Erinnerungen an die Zeit verblassen, aber ich bin mir bewusst, dass ich ohne meine Erkrankung nicht der wäre, der ich heute bin und dass ich sicherlich nicht so leben würde, wie ich heute lebe.

1999 ist etwas in mein Leben getreten, auf das ich keinen Einfluss hatte, das ich damals mit zwölf Jahren auch nicht richtig verstanden habe. Mir war nicht klar, was es bedeutet Krebs zu haben und warum meine Eltern deshalb weinen. Ich hatte keine Ahnung davon was mich erwartet und konnte schon gar nicht erahnen was es für mein weiteres Leben bedeutet. Ich hatte nie Angst davor zu versterben, auch wenn ich natürlich mitbekommen habe, wie es manchen anderen Kindern immer schlechter ging und sie irgendwann auch verstorben sind.

Komischerweise kam damals diese Angst nie. Auch als ich älter wurde und trotz drei Rezidiven habe ich nicht oft daran gedacht an der Erkrankung zu sterben, die Zukunft nicht mehr zu erleben. Diese Sorgen kamen erst später, jetzt als Erwachsener. Als Kind und Jugendlicher haderte ich viel mehr damit nicht normal zu sein, nicht zur Schule, nicht ins Schwimmbad, zur Geburtstagsfeier gehen zu können, nicht am USA-Austausch teilnehmen zu können.

Meine Facharbeit durfte ich vorzeitig abgeben weil ein Rezidiv dazwischen kam, mein Abi habe ich daheim am Küchentisch geschrieben mit einem Lehrer als Aufsicht nur für mich weil ich mal wieder ein Rezidiv hatte und zum Abi-Streich meines Jahrganges kam ich zu spät, weil ich am selben Tag erst nach der Resektion meiner Lungenmetastasen aus dem Krankenhaus entlassen worden war und das auch nur weil ich Druck gemacht habe endlich gehen zu dürfen. Meine Eltern fuhren mich ohne Umwege direkt aus der Klinik in die Schule. Damit ich an meiner Abi-Zeugnisverleihung und Feier teilnehmen konnte wurde die nächste Chemo um einige Tage verschoben. Die Abi-Fahrt fand jedoch ohne mich statt. Wenn ich heute zurück denke war das für mich Schlimme nicht die Therapie mit allen ihren Nebenwirkungen, sondern dass ich so viel normales Leben verpasst habe.

2007 habe ich dann begonnen Medizin zu studieren. Vorlesungen hatte ich schon bald teils bei den Leuten, die zuvor meine behandelnden Ärzte gewesen waren. Heute arbeite ich als Arzt an dem Klinikum, an dem alle meine größeren Operationen erfolgt sind und das zu derselben Universität gehört wie auch die Kinderklinik, in der ich zwischen meinem 13. und 20. Lebensjahr so viel Zeit verbracht habe. Wäre ich 1999 nicht an Krebs erkrankt, hätte ich sicher nie meinen heutigen Arbeitgeber gewählt. Ich kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob ich überhaupt Medizin studiert hätte. Ich bin mir jedoch sehr sicher, dass ich ohne die Erfahrungen, die ich gemacht habe, ein anderer Arzt wäre als der, der ich heute bin.

Ich denke ich verstehe sehr gut die Ängste und Sorgen meiner Patienten, vieles davon habe ich ja selbst ausprobiert. Gleichzeitig habe ich aber auch für einiges weniger Verständnis: Wenn Patienten jammern, weil sie zu lange warten müssen oder ihnen eine kleine Narbe bleibt. Das sind Situationen, in denen es mir schwer fällt geduldig zu bleiben und ich muss mich selbst daran erinnern, dass diese Patienten einfach nicht dieselben Erfahrungen gemacht haben wie ich und Dinge anders bewerten als ich.

2015, nach 9 Jahren Pause und in meinem ersten Jahr als Assistenzarzt erkrankte ich an einem Zungenkarzinom. Wieder habe ich mich in „meiner“ Klinik behandeln lassen. Zum Glück brauchte es dieses Mal nicht mehr als eine Operation. Körperlich ist von der letzten Erkrankung auch nicht viel geblieben: ein fehlendes Eck Zunge und eine lange Narbe am Hals. Geblieben ist aber eine deutliche Angst vor einer weiteren Krebserkrankung. Vor allem, dass es sich bei dem Zungenkarzinom nicht einfach um ein Rezidiv meiner alten Erkrankung, sondern um eine komplett neue, nach derzeitigem Stand der Wissenschaft von meiner ursprünglichen Erkrankung unabhängige Krebserkrankung handelt, hat mich sehr verunsichert. Ich weiß nicht, ob diese Angst jemals besser wird, aber ich achte jetzt noch besser auf Veränderungen an meinem Körper.

Informationen zum Autor:

Zu mir: 1986 geboren 06/99 an Ewing Sarkom im Bereich der linken Hüfte erkrankt. Initial behandelt nach EICESS Protokoll mit 4 Zyklen Induktionschemotherapie, lokaler Resektion und weiteren 10 Zyklen Chemotherapie. Erstes Rezidiv 12/01 behandelt mit erneuter lokaler Resektion, Chemotherapie und lokaler Strahlentherapie. 11/02 Lungenmetastase links. Es erfolgte eine erneute Chemotherapie sowie eine Ganzlungenbestrahlung. 03/06 mehrere Lungenmetastasen, wieder links. Es erfolgte erneut Chemotherapie und die operative Entfernung der Metastasen. Zusätzlich erfolgte eine zweimalige Hochdosis-Therapie jeweils mit autologer Stammzelltransplantation. 2006 habe ich zudem mein Abitur gemacht und im Herbst 2007 dann mein Medizinstudium begonnen. Nach meinem Examen habe ich im Herbst 2014 als Assistenzarzt in der Anästhesie begonnen. Im Frühjahr 2015 erkrankte ich an einem Zungenkarzinom, welches mittels lokaler Resektion sowie der Resektion von Lymphknoten derselben Seite im Bereich des Halses behandelt wurde.
Im Herbst 2015 wurde ich Vater.

Denk daran – Ich hab dich lieb: in Erinnerung an unseren Niklas.

Die erste Frage, die mir immer wieder gestellt wird, ist:
Was ist ihnen an Niklas aufgefallen bevor bei ihm Krebs diagnostiziert wurde?
Auffällig waren seine Wutausbrüche. Ich habe viele Erziehungsbücher gelesen und versucht, gut gemeinte Ratschläge umzusetzen, um Niklas eine gute Mutter zu sein. Leider wusste ich damals noch nicht, dass sein aggressives Verhalten schon eine Auswirkung seines Neuroblastoms war – und nicht die Trotzphase.

Der Kinderarzt hat mich ermutigt, ihn bald in den Kindergarten zu schicken, damit er lernt, mit gleichaltrigen Kindern zu spielen und sich auseinander zu setzen. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen.

In den Sommerferien 2011 bekamen wir die Diagnose Neuroblastom Stadium 4 mit Metastasen. Sein Zustand war lebensbedrohlich. Das hat uns allen den Boden unter den Füssen weggezogen. Ich war wütend auf Gott und das hab ich ihm auch gesagt. Ich habe gebetet: Du bist ja mein Vater im Himmel, und wenn du meinst, wir können diese Last mit deiner Kraft tragen, dann musst du uns helfen.

Und ich wollte von ihm wissen, was er mit uns vorhat. Wir haben uns nie die Frage gestellt warum, weil es darauf keine Antwort gibt.

Dank dem Elternhaus vom Förderverein für krebskranke Kinder e. V. Köln konnte unsere ganze Familie in dieser schweren Zeit in Niklas Nähe sein.

In dieser Zeit habe ich das Buch „Denk daran: Ich hab dich lieb“ von Max Lucado gelesen. Besonders hat mir der Schlussgedanke gefallen: „Der Himmel ist ein wunderbarer Ort. Dir wird dort niemals kalt sein, du wirst dich nicht krank fühlen oder Angst haben. Im Himmel wirst du Gott so nahe sein, dass er dich in den Arm nehmen wird, so wie ich es heute tue. Das wird einfach wunderbar.

Ich werde natürlich auch dort sein! Das verspreche ich. Wir werden zusammen sein, für immer. Behalte das in deinem Herzen …, nur für den Fall, dass du jemals daran zweifelst.“

Da wir nicht wussten, wie viel gemeinsame Zeit uns noch geschenkt wird, war unser Motto: Das Gestern ist Geschichte, das Morgen ist ein Rätsel, das Heute ist ein Geschenk.

Jeden Tag als Familie mit Niklas zu genießen und schöne Momente zu schaffen war jetzt meine Aufgabe. Ich wollte lernen, Niklas Bedürfnisse wahrzunehmen, in seine Welt zu gehen und ihm zu helfen, Worte zu finden, für das was in ihm vor sich ging.
Wenn er mit seinen Dinos gespielt hat, konnte er seine Fragen loswerden: Hab ich genug Kraft, bin ich stark, bin ich schnell genug zu entkommen? Ich bin doch keine alte Oma, warum muss ich sterben? Ich könnte ein Flugsaurier sein und einfach weg fliegen.

Sein Kampfgeist wurde geweckt, und so kennen wir ihn als den Super-Mario, voller Energie und Lebensfreude. Jedem von uns hatte er eine Figur von Super-Mario zugedacht und seine Aufgabe war es, uns zu retten.

Nicht jeder konnte mit seiner lauten Energie und Fröhlichkeit umgehen. Das hat ihn traurig gemacht und verletzt. Er konnte nicht verstehen, wieso man von ihm verlangte zu funktionieren. Er wollte einfach nur Kind sein.

Kind durfte er im Kindergarten sein, beim Spielen mit der Kunsttherapeutin, bei unseren tollen Familienausflügen und natürlich Zuhause. Zuhause sein war für uns Urlaub. Jeden Abend haben wir gemeinsam überlegt, was wir Schönes erlebt haben, und dann haben wir Gott dafür gedankt.

Wir sind stolz seine Familie zu sein. Unser Sonnenschein hat uns gelehrt, das Leben zu genießen, und wie ein Stehaufmännchen in schweren Zeiten zu kämpfen.

Wir lieben dich und werden dich ganz doll vermissen.
Familie Niermann

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